Biographie
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Christfried Schmidt

Christfried Schmidt ist einer der bedeutenden deutschen Komponisten der Gegenwart. Sein Werk umfasst Sinfonik, Solokonzerte,

eine Oper sowie vielgestaltige Kammermusik, Kirchenwerke und mehr als 100 Lieder. Er steht in der Tradition expressiver, ja fast

spätromantisch zu nennender Orchestermusik des frühen, atonalen Schönberg und dessen Schülers Alban Berg. Es gibt Bezüge zu

Karl Amadeus Hartmann, zu Bernd Alois Zimmermann, zum frühen Henze. Schmidt bleibt aber in allem ein sehr eigenständiger, oft

unbändiger Ausdrucksmusiker. Seine Satzkunst ist bei aller Expressivität durchstrukturiert, an Bach geschult. Ungeachtet eines

soliden, umfassenden Kirchenmusik-Studiums, sieht sich Christfried Schmidt auf dem Gebiet der Komposition als Autodidakt, weil

er den gängigen Kompositionsunterricht nicht hatte.

Frühe Jahre

Schmidt ist am 26.11.1932 in Markersdorf/Oberlausitz in einer Wassermühle

geboren und aufgewachsen, in der seine Familie schon seit Generationen lebte

und arbeitete. Von Dorfkantoren erhielt er ersten Klavierunterricht, später

besuchte er das Gymnasium im nahe gelegenen Görlitz, wo ihn der

Humperdinck-Schüler Emil Kühnel (1881 - 1971) im Fach Klavier

unterrichtete. Damals entstand eine erste kleine Komposition für Violine und

Klavier, offenbar schon so schwierig, dass sein Lehrer sagte: "Herr Schmidt,

wer soll denn das spielen?" - Einen Satz, den der Komponist später immer

wieder hörte. - An der Kirchenmusikschule Görlitz studierte Schmidt von 1951

- 54 und legte dort die Kantoren-B-Prüfung ab. Dann setzte er das

Kirchenmusikstudium an der Hochschule für Musik Leipzig fort (1955 - 59).

Dort begann er, sich für die Dodekaphonie Schönbergs und die Serialität

Weberns zu interessieren, für Kompositionstechniken, wie sie beim Musikfest

in Donaueschingen oder den Ferienkursen für Neue Musik in Darmstadt üblich,

in der DDR aber damals seitens der offiziellen Kulturpolitik strikt abgelehnt

wurden. In einer kleinen Arbeitsgemeinschaft des inzwischen nahezu

vergessenen, aber verdienstvollen Komponisten und Musikwissenschaftlers Hermann Heyer (1898 - 1982) an der Leipziger

Musikhochschule konnte sich Christfried Schmidt mit diesen Kompositionstechniken vertraut machen. In den Leipziger

Studienjahren entstanden "Vier Lieder nach Trakl" und "7 Geistliche Gesänge". Letztere verblüfften seinen Tonsatzlehrer Johannes

Weyrauch (1897 - 1977) aufgrund ihrer Modernität. Er stellte sie jedoch in einem privaten Kreis vor.

Einen Vorsatz, Komponist zu werden, hatte aber Schmidt während des Studiums noch nicht gefasst. Als Abschlussarbeit an der

Leipziger Musikhochschule entstand die Psalm-Motette "Lobet den Herren"

(1958), die 1975 an der Kirchenmusikschule Halle zur Uraufführung kam, als

Ersatz für Schmidts "Psalm 21", dessen Schwierigkeiten für den Chor

unüberwindlich schienen.

Nach Ablegen der Kirchenmusik-A-Prüfung trat Christfried Schmidt 1960 eine

Kantoren-Stelle in Forst/Lausitz an. Der Kirchendienst in der

brandenburgischen Provinz wurde ihm aber nicht leicht gemacht, er kündigte

und nutzte die freie Zeit - nahezu eineinhalb Jahre, um den Hauptteil seiner

mehr als 100 Klavierlieder zu schreiben. 1963 trat er eine Stelle als

Kapellmeister der Schauspielmusik am Stadttheater in Quedlinburg/Harz an,

verlor sie aber nach einer Spielzeit, stand wieder auf der Straße, arbeitslos,

doch frei schaffend. Er wandte sich nun vollends der Komposition zu, ja es

begann eine Phase geradezu besessener kompositorischer Arbeit. Schmidt

schrieb weitere Klavierlieder, darunter solche nach Heine, Rilke, Hesse, auch

15 Lieder nach DDR-Lyrik. Dazu kamen 1965 zwei Motetten, "An die Sonne"

nach Ingeborg Bachmann und "Landnahme" nach Hans Magnus Enzensberger.

In der Quedlinburger Zeit entstanden auch das erste und zweite

Streichquartett (1965 bzw. 1970), die Kammermusiken I bis VII, Orgelwerke,

eine Hamlet-Sinfonie (1967), die 2. Sinfonie ("In memoriam Martin Luther

King", 1968), diverse Solo-Stücke und Konzerte für Solo-Instrumente und

Orchester, eine Markus-Passion (1974) u.v.a. Gleichzeitig begann Christfried

Schmidt ernsthaft zu malen (ein Hobby seit der Jugendzeit). Er schuf eine

beträchtliche Anzahl expressiver Ölbilder (Landschaften, Porträts, Abstraktes).

Auch das blieb ein Intermezzo. Er entschloss sich, dem Komponieren

ungeteilten Vorrang zu geben.

Seine Musik wurde in jener Zeit in der anhaltinischen Provinz gänzlich ignoriert. Auch in Halle, Leipzig oder Berlin kam es zu keiner

Aufführung. Weder die Sinfonien noch sein Klavierkonzert (1969), Orgel- (1972), Violin- (1973), Cellokonzert (1974) oder Bläser-

Quintett (1971) wurden damals gespielt. So komponierte Schmidt etwa 10 Jahre, ohne irgendeines seiner Werke einmal hören zu

können. Für die handwerkliche und gehörsmäßige Kontrolle solch aufwendig instrumentierter Werke und die künstlerische

Fortentwicklung eine Qual. Im Komponistenverband (Halle-Magdeburg) wurde Schmidt seit 1964 nur als Gast geduldet, 1968

wurde er Kandidat, erst 1971 Vollmitglied. Den Lebensunterhalt verdiente sich der Komponist, indem er mit öffentlichen Bussen

über die Dörfer um Quedlinburg fuhr, dort Klavierschüler unterrichtete und Chöre dirigierte. Diese Isolation unterbrach 1967 ein

Besuch des Festes der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik (IGNM) in Prag sowie nun jährliche private Reisen zum

"Warschauer Herbst", wo sich die Elite der neuen Musik aus Ost und West traf.

Die Beschaffung der nötigen Pässe machte immer noch arge Schwierigkeiten.

In Warschau lernte Schmidt 1968 den japanischen Musikwissenschaftler  Ichirō

Tamura kennen, durch den er 1969 Mitglied des “Tokyo Musik und

Kulturverein” wurde, und der bei ihm ein Stück für Flöte und Klavier bestellte.

So kam das Kuriosum zustande, dass die erste öffentliche Uraufführung einer

Schmidtschen Komposition 1970 in Tokio stattfand.

Dem folgten zwei weitere japanische Uraufführungen, wieder in Tokio. Die

erste öffentliche Aufführung in der DDR gelang erst 1974 im Apollosaal der

Deutschen Staatsoper in Berlin mit dem Bläserquintett der Staatskapelle. In

diesem Jahr erhielt Schmidt auch den ersten bezahlten Kompositionsauftrag in

der DDR für seine Kammermusik VII, den Dieter Hähnchen, Fagottist der

Bläservereinigung Berlin, für sein Ensemble erwirkte, das sich neben der

Gruppe Neue Musik "Hanns Eisler" in Leipzig in den Folgejahren um die

Aufführung Schmidtscher Werke besonders verdient machte. Zuvor, 1973, kam

es zu einer ersten Einspielung beim Rundfunk der DDR (Klavierkonzert, 1969), das Werk wurde mehrfach im Rundfunk gesendet,

aber bisher nie in einem Konzert aufgeführt.

Im Ausland fanden Schmidts originelle, nonkonformistischen Werke zunehmend

Beachtung. Er gewann Kompositionspreise in Nürnberg (1971/76), Szczecin

(1973), Triest (1974), Boswil/Schweiz (1978). Noch jahrelang wurden dem

Komponisten die Reisen zur Entgegennahme von Preisen oder zu seinen

Aufführungen im Westen von den DDR-Behörden untersagt. Erst 1979 durfte

er erstmals in die Schweiz reisen, was noch kein Ende der Schikanen

bedeutete, permanente Stasi-Observierungen inbegriffen. (Die Aufdeckung

der Akten nach 1990 brachte es minutiös an den Tag.)

Berliner Jahre

1980 verließ Christfried Schmidt endgültig Quedlinburg, nutzte die West-

Ausreise des Ostberliner Komponisten-Freundes Hans-Karsten Raecke, um zur

Untermiete in einen Teil von dessen düsterer Hinterhof-Wohnung im

Prenzlauer Berg (Gaudystraße) zu ziehen. Zum Komponieren war diese

Wohnung zu deprimierend, die meisten Werke enstanden in jener Zeit bei

Aufenthalten im Künstlerheim Groß-Kochberg bei Weimar, aber der Umzug in

den Prenzlauer Berg brachte doch bessere Kontakte zu Interpreten und anderen

Künstler-Kollegen in Berlin. Es mehrten sich öffentliche Aufführungen, zumal in der DDR in den 70er und 80er Jahren eine

zunehmende ästhetische, wenn auch nicht politische Toleranz spürbar wurde. Die Verwendung experimenteller kompositorischer

Techniken nahmen die Kulturbehörden kaum noch zum Anlass, Stücke zu verbieten, wie es in den 50er und 60er Jahren die Regel

war. So kamen endlich große Orchesterwerke Christfried Schmidts ab Mitte der 70er Jahre zur Aufführung, das Cello-Konzert und

die Munch-Musik in Leipzig, die Orchestermusik I und das Oboenkonzert in

Berlin, beide sogar vom Fernsehen übertragen. All diese Werke wurden trotz

ihrer Avanciertheit vom Publikum mit großem Beifall aufgenommen. Schmidt

war in den 80er Jahren in der DDR nicht mehr totzuschweigen. Er wurde auf

Festivals gespielt, bekam Rundfunk-Produktionen, Kompositions-Aufträge,

darunter (vom Nationaltheater Weimar) einen Opernauftrag zu Heinrich

Manns "Das Herz". 1987 wurde Schmidt auf Antrag der Akademie der Künste

mit dem Kunstpreis der DDR geehrt. Kurz nach der Wende, 1990, wurde er

Mitglied der Ostberliner Akademie, 1991, bei Neuwahlen, allerdings nicht

mehr berücksichtigt, obwohl er einer der politisch unangepasstesten Musiker

der DDR überhaupt war. Erfreulicherweise wählte ihn die Sächsische

Akademie der Künste 1998 in ihre Reihen.

Dass sich solche Aufführungserfolge und öffentliche Anerkennung noch einmal

drastisch umkehren würden, daran dachte zum Zeitpunkt der deutschen

Vereinigung wohl kaum ein ostdeutscher Komponist. Aber Marktwirtschaft,

Streichung von Kulturmitteln, Unkenntnis von Veranstaltern, Einflussnahme

von Lobbyisten auf hart umkämpften Märkten für Orchester-, Kammermusik

und Opernaufführungen in der Bundesrepublik hatten für die Mehrheit der

ostdeutschen Komponisten zur Folge, dass sie kaum mehr gespielt werden.

Das trifft vor allem auch auf den wenig konzilianten und werbeunkundigen

Christfried Schmidt zu. Seine Oper nach Heinrich Mann kam in der Wende-Zeit

in Weimar nicht mehr zur Premiere, galt plötzlich als zu schwer, blieb trotz

Bemühungen des Komponisten an etwa fünfzehn, vornehmlich westdeutschen

Opernbühnen bis heute unaufgeführt. Schmidts große Orchesterstücke werden

ungeachtet ihrer kompositorischen Qualität kaum mehr gespielt. Der zweite Teil (2004) seines opus summum, der Orchestermusik

V, "Memento", mit Chor, Sprecher und Solisten nach eigener Textwahl zur deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts, harrt weiter

der Uraufführung. Immerhin kam zumindest der erste Teil dieser Orchestermusik 2002 im Leipziger Gewandhaus zur Uraufführung.

Fabio Luisi dirigierte das Rundfunksinfonieorchester Leipzig. Dennoch, an seinem Lebensabend lebt Christfried Schmidt, mitten in

Berlin, wieder künstlerisch ähnlich isoliert und in bescheidenen finanziellen Verhältnissen wie in den 60er bis 70er Jahren in der

DDR-Provinz. Kein Ruhmesblatt für das deutsche Musikleben.

Manfred Machlitt

Christfried Schmidt und Familie
Christfried Schmidt
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